Träume in azúl y blanco

In einer Stunde wird der Wecker läuten. Dies ist aber gar nicht nötig, denn ich bin bereits hellwach. Und für einmal ist nicht mein Zimmergenosse (hier in Nicaragua: compañero) daran schuld, der oft „laut“ schläft...Nein, eine Mischung aus Nervosität, Vorfreude und Respekt gegenüber dem Gegner lässt mich nicht weiter schlafen. Ich bin überzeugt, dass ich in diesem Hotel von Esteli nicht der Einzige bin, der ohne Wecker aufwachen wird. Denn heute ist endlich der Tag gekommen, den wir sehnlichst erwartet haben. Staff und Spieler haben seit Monaten darauf hingearbeitet.


Es ist der Augenblick gekommen, in welchem wir auf eine Top 100-Nationalmannschaft des FIFA-Rankings treffen werden. Heute ist der Tag, in welchem es keine Grenzen gibt. Denn heute spielen wir gegen die Nationalmannschaft Nicaraguas in Ocotal, im Norden des Landes.

 

In den ersten Tagen unseres Aufenthaltes war ich jeweils der erste beim Frühstückstisch. Heute musste ich aber feststellen, dass auch andere Mitspieler so früh konzentriert und erwartungsvoll anwesend waren. Einmal mehr hat uns der Busfahrer Mani über kurvenreiche Landschaften sicher nach Ocotal gebracht. An der Stadtgrenze wurden wir von der Polizei angehalten. Wir befürchteten eine Kontrolle, wurden aber „nur“ bis zum Stadion Roy Fernando Bermudez eskortiert. Bei der Platzbesichtigung wurden wir von den Einheimischen herzlich empfangen. Viele junge begeisterte Fans wollten mit uns Fotos schiessen. Anschliessend fuhren wir zur offiziellen Pressekonferenz. Der Vize-Bürgermeister und Vertreter der Verbandes waren anwesend, natürlich auch alle Nationalspieler und der Star der Equipe und Captain, Juan Barrera. Verschiedene Journalisten aus Radio und Fernsehen standen mit ihren Mikrophonen und Kameras bereit. Als die Nationalhymnen ertönten, konnten wir unsere Gefühle kaum in Zaum halten. Wir sangen (oder summten) laut mit. Für Ocotal ist dieses Spiel historisch, weil die Nationalmannschaft zum ersten Mal in der Stadt auftritt. Normalerweise trägt sie ihre Spiele nur in Managua und Esteli aus. Während der Zeremonie hat „Fussball ohne Grenzen“ zudem die Schlüssel der Stadt vom Vize-Bürgermeister erhalten. Nach einem schnellen Mittagessen hat sich dann die Mannschaft für eine Stunde ausgeruht. Die Nervosität war beim Eintreffen ins Stadion wieder deutlich spürbar. Die Ränge waren bereits gut gefüllt, die Stimmung schon angeheizt und unzählige Mitarbeiter sorgten für die letzten Vorbereitungen am Spielrand. Die Motivationsrede des Trainers war an Kreativität kaum zu überbieten. In 10 Minuten konnte Marco Gähler diese Themen nahtlos verbinden: 20 Bolivianer, Petkovic, Haifische, Breakbälle, schwedische Gedichte und Panflöten-Sound. Der Schiedsrichter wollte eigentlich schon viel früher in unserer kleinen Garderobe eintreten, musste aber das musikalische Anden-Intermezzo noch abwarten. Ach ja, die Aufstellung wurde uns auch bekannt gegeben. Vor Spielbeginn wurde der Berner Marsch abgespielt. Es war die Extended-Version, welche nach drei Minuten vom Stadion-Techniker abgewürgt wurde. Verständlicherweise.

 

Spätestens beim Anpfiff war der Traum Realität geworden. Jubelnde Zuschauer feuerten uns im ausverkauften Stadion an. Sogar auf den Baumkronen rund ums Stadion verfolgten Jugendliche unser Spiel. Auch ein paar Schweizer Touristinnen haben den Weg ins Stadion gefunden, weil sie aus den Medien von diesem Spiel erfuhren. Sie waren wahrscheinlich arg enttäuscht, als sie sich mit mir anstatt mit Yann Sommer begnügen mussten. Die Nationalmannschaft entpuppte sich verständlicherweise als die technisch und physisch stärkere Equipe. Wir haben tapfer gekämpft (gute Besserung an Sven mit seiner angerissenen Nase und Reffi mit der ausgekugelten Schulter) und taktisch clever dagegen gehalten. In der ersten Halbzeit geriet „Fussball ohne Grenzen“ nur 1:0 (!!!) in Rückstand. Wahrscheinlich hat die helvetische Auswahl von Amateur-Fussballer das Potential völlig ausgeschöpft: Es ist unglaublich wie viel eine Ansprache mit Haifische und Bolivianer ausmachen kann (gut gemacht, Coach!). In der zweiten Halbzeit konnte die gegnerische Mannschaft sehr schnell noch zwei Tore erzielen. Wohl gemerkt, einer davon war ein Elfmeter. Das Schlussresultat war mit 3:0 in aller Hinsicht überraschend. Aber im Grunde genommen hat die gesamte Stadt von Ocotal gewonnen. Und für mich war der Tag unbezahlbar: als 42-Jähriger durfte ich als quasi Fussball-Pensionierter dieses Highlight erleben. Im Anschluss konnten wir zwar nicht duschen (das Wasser fehlte) dafür floss Bier in Strömen. Obwohl, einige von uns nutzten die Rasensprenger als Duschersatz. Nach einer kurzen Reise haben wir dann mit der Nationalmannschaft von Nicaragua zu Abend gegessen. Jonas, unsere Zaubermaus, wurde von einem gegnerischen Spieler darauf angesprochen, ob er sein Trikot mit ihm tauschen wolle. Und ab diesem Zeitpunkt taten ihm alle Spieler gleich. Gerüchte besagen, dass Jonas bald eingebürgert werden soll, damit er für die Nationalmannschaft Nicaraguas als „El blanco chiquitin“ auftreten kann. Die Abendreise nach Leon hat sich lange hingezogen, weil wir unzählige Pinkelpausen einlegen mussten...Ich hoffe, dass ich diese Nacht besser schlafen kann und wieder von diesem Tag träumen kann.

(06:30 Uhr: Baulärm aufgrund Renovationsarbeiten).

(Franco Olivadese alias Fränggu featuring by Lüku)